Die Geschichte des Zoologischen Stadtgartens Karlsruhe: Von der Gründung 1865 bis zu Eisbär Mika
von Campusradio Karlsruhe · Veröffentlicht · Aktualisiert

Eisbär Mika: Warum gerade jetzt alle über den Zoo Karlsruhe sprechen
Karlsruhe spricht über ein Jungtier: Eisbär Mika. Das Nachwuchs-Männchen hat die lokalen News-Feeds im Sturm erobert – und zeigt, wie sehr der Zoologische Stadtgarten Karlsruhe bis heute bewegt. Familien, Schulklassen, Touristinnen und Touristen, Menschen aus der Region: Der Zoo Karlsruhe ist Identität, Erinnerung und Diskussionsthema zugleich. Dieser aktuelle Hype ist ein perfekter Einstiegspunkt in eine Geschichte, die viel weiter zurückreicht – bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Was ist ein moderner Zoo? Abgrenzung zur fürstlichen Menagerie
Moderne Zoos sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sie stehen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Unterhaltung – und unterscheiden sich deutlich von den Menagerien der Frühen Neuzeit, in denen Fürsten exotische Tiere als Prestigeobjekte in Schlossgärten präsentierten. Im 19. Jahrhundert wird das Publikum bürgerlich und breiter, Institutionen wie Naturkundemuseen, botanische Gärten, Planetarien und eben zoologische Gärten vernetzen sich mit Forschung und Bildung. Genau in diese Entwicklung fällt die Gründung des Zoologischen Stadtgartens Karlsruhe.
1865: Der Karlsruher Zoo entsteht – Karlsruhe wird zum Pionier
Am 8. September 1865 eröffnet in Karlsruhe ein Tierpark – der erste moderne Zoo in einer deutschen Mittelstadt. Während Metropolen wie Berlin (1844), Frankfurt (1858), Köln (1860) und Hamburg (1863) vorangehen, zeigt Karlsruhe mit damals rund 30.000 Einwohnern: Bürgerliche Initiative, Begeisterung und Finanzierungskraft gibt es auch außerhalb der Großstädte. Das macht den Zoo Karlsruhe zum Vorbild für andere Städte mittlerer Größe.
Der Geflügelzuchtverein als Motor der Gründung
Die Initialzündung kommt aus dem Vereinswesen – ein Markenzeichen der Zeit. Der Badische Verein für Geflügelzucht (gegründet 1861) treibt die Idee eines Tierparks voran. Julius Ziegler, Apotheker, Gemeinderat und stellvertretender Vorsitzender, wird zur Schlüsselfigur. Der Fokus liegt naheliegend auf Vögeln: Geflügel- und Singvögel, Greif- und Stelzvögel, später auch exotische Arten wie Papageien. Doch von Anfang an sollen auch Säugetiere zu sehen sein.
Standort, Landschaft und Finanzierung: Das Seilenwäldchen beim Ettlinger Tor
Die Stadt Karlsruhe unterstützt das bürgerliche Projekt früh und verpachtet 1864 ein rund zwei Hektar großes Areal im Süden der Stadt – einen Teil des sogenannten Seilenwäldchens nahe des Ettlinger Tors – für einen symbolischen Jahreszins. Das Gelände ist ein Glücksfall: Wäldchen, ein kleiner See, umsäumt von Eichen und Buchen – eine malerische Kulisse, die an den Jardin des Plantes in Paris erinnert, der als Vorbild gilt.
Finanziert wird der Start durch den Verkauf von Aktien und Spenden. Das Bürgertum zeichnet Anteile, Gewerbetreibende erhoffen sich mehr Kundschaft, der badische Hof um Großherzog Friedrich I. engagiert sich mit größeren Summen und Tiergeschenken. Doch trotz breiter Unterstützung bleibt das Budget knapp: Statt eines großen Wurfs entsteht zunächst ein kleiner, aber ambitionierter Tierpark – mit der Perspektive, später zu wachsen.
Die ersten Tiere: Viel Geflügel – und Bären als Publikumsmagnet
Programmatisch dominieren Vögel. Daneben zeigen die Gehege heimische Säugetiere (Ziegen, Hasen, Dachse, Füchse, Dam- und Rotwild) und einige Exoten: Affenarten, Schildkröten – und Bären. Letztere kommen als Geschenke aus der großherzoglichen Menagerie. 1866 finanziert ein Benefiz der Hofbühnen-Künstler sogar einen eigenen Bärenzwinger. Im selben Jahr wird die fürstliche Menagerie ganz aufgelöst und in den Karlsruher Zoo integriert – ein wichtiger Anschub für den jungen Tierpark.
Besucherzahlen und Realität der Tierhaltung im 19. Jahrhundert
Der Zoo wird rasch zum Publikumsliebling: 1869 zählt man knapp 64.000 Besucherinnen und Besucher – bemerkenswert bei einer Stadtgröße von rund 30.000 Einwohnern. Gleichzeitig ist die Tierhaltung der Epoche aus heutiger Sicht problematisch: kleine Käfige, unzureichende Winterbeheizung, wenig Wissen zur artgerechten Sozialstruktur. Ein angestellter Tierarzt betreut nicht kontinuierlich, Exoten sterben überdurchschnittlich häufig. Trotzdem wächst der Zuspruch – und mit ihm der Anspruch, besser zu werden.
Krisenjahre: Krieg, Währungsreform und die Rettung durch die Stadt
Mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 brechen die Besucherzahlen ein. Kurz darauf sorgt die Reichsgründung 1871 indirekt für neuen Druck: Die Vereinheitlichung des Währungssystems (Ablösung regionaler Silbergulden durch die Goldmark ab 1873) entwertet die Zoo-Aktien. Finanzengpässe spitzen sich zu. 1868 übernimmt der neu gegründete Tiergartenverein die Verantwortung vom Geflügelzuchtverein, doch das reicht nicht. 1877 folgt der entscheidende Schritt: Die Stadt Karlsruhe übernimmt den Tierpark, integriert ihn in die städtische Verwaltung und macht die Stadtgartenkommission zuständig. So wird die Grundlage für eine stabile Entwicklung gelegt.
Vom Tierpark zum Zoologischen Stadtgarten: Zwei Parkteile wachsen zusammen
In den 1870er Jahren entwickelt die Stadt das nördliche Seilenwäldchen zum Naherholungsgebiet, weiter nördlich entstehen Festplatz, Festhalle und das Vierordtbad. 1877 werden der nördliche Gartenbereich und der südliche Tierpark organisatorisch zum Stadtgarten zusammengeführt – auch wenn eine Straße beide Areale noch trennt. Erst zur Bundesgartenschau 1967 verbindet eine Fußgängerbrücke die Teile räumlich. Der Name „Stadtgarten” sorgt seit jeher für ein wenig Verwirrung: Gemeint ist sowohl die Grünanlage als auch der Tierpark im Verbund.
Tierbestand um 1890–1900: Wachstum, Vielfalt – und Kritik
1890 leben 486 Tiere im Karlsruher Zoo, etwa drei Viertel davon Vögel. Um 1900 sind es bereits über tausend Tiere – ein deutlicher Ausbau. Die Bestandslisten lesen sich global: rund 35 Raubtiere aus Brasilien, Nordamerika, Sibirien und der Polarzone, etwa 120 Nagetiere aus Nord- und Südamerika, 43 Huftiere aus Indien, Ceylon, Persien und Sardinien, 23 Affenarten, 3 Kängurus, 25 Reptilien sowie rund 809 Vögel. Parallel wächst die Sensibilität: 1894 kritisiert ein Stadtratsvotum die beengten, teils schlecht beheizten Holzkäfige als gesundheitsgefährdend. Der Druck zu modernisieren steigt.
Friedrich Ries: Der autodidaktische Gartenbaudirektor
Eine Schlüsselfigur dieser Modernisierung ist Friedrich Ries. Geboren am 31. Oktober 1849 in Eichtersheim (heute Angelbachtal im Kraichgau), absolviert er 1864–1867 eine Gärtnerlehre im dortigen Schlossgarten – just in einer Umbauphase vom barocken zum englischen Landschaftsgarten. Dieser Stil, naturnah und romantisch, mit geschwungenen Wegen, Wiesen, kleinen Wäldchen, Teichen, Brücken, Tempelchen und Statuen, prägt Ries’ Ästhetik sein Leben lang.
Ries sammelt früh Erfahrung über Karlsruhe hinaus: Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 unternimmt er bis 1873 eine große Studienreise nach Frankreich (Nancy, Paris), später führen ihn Fachreisen bis nach Konstantinopel und Japan. Parallel steigt er in Karlsruhe rasch auf: Beim Wasser- und Straßenbauamt beginnt er als technischer Hilfsarbeiter, besteht 1867 die Straßenmeisterprüfung, wird Bauaufseher und 1869 bereits Straßenmeister.