Der virtuelle Reifen: Wie Forschung am KIT Mikroplastik durch Reifenabrieb reduzieren will
von Campusradio Karlsruhe · Veröffentlicht · Aktualisiert

Der virtuelle Reifen: Wie Forschung am KIT Mikroplastik durch Reifenabrieb reduzieren will
Reifenabrieb ist eine unsichtbare, aber massive Umweltbelastung: Jährlich entstehen hunderttausende Tonnen Mikroplastik durch Autoreifen – auf Autobahnen, Landstraßen und in den Städten. Ein großer Teil gelangt in die Luft, in Böden und letztlich in Flüsse und Meere. Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickeln im Rahmen des Projekts RAMOS nun den „virtuellen Reifen“. Damit wollen sie Reifenherstellern ein Werkzeug geben, um Abrieb zu minimieren und gleichzeitig strengere EU-Grenzwerte einzuhalten.
Reifenabrieb: das unsichtbare Mikroplastikproblem
Autoreifen bestehen zu großen Teilen aus synthetischem Kautschuk. Durch Reibung auf der Fahrbahn lösen sich Gummipartikel, die als Feinstaub in die Atemluft gelangen oder durch Regen in Gewässer gespült werden. Ein Drittel der weltweiten Mikroplastikbelastung in den Ozeanen geht inzwischen auf Reifenabrieb zurück. Auch Böden sind betroffen: Gummipartikel reichern sich an und gelangen über Lebensmittel wieder in die Nahrungskette.
Mit der E-Mobilität wird das Problem noch verstärkt: Elektroautos sind durch ihre Batterien schwerer, was mehr Abrieb verursacht. Zudem bleiben bei emissionsfreien Antrieben fast nur noch Reifen- und Bremsstaub als Feinstaubquelle übrig.
Forschung am KIT: Simulation statt Testfahrten
Bisher messen Reifenhersteller Abrieb über aufwendige Flottenversuche. Fahrzeuge legen dafür zehntausende Kilometer auf der Straße zurück – das kostet Zeit, Personal und produziert selbst wieder Emissionen.
Im RAMOS-Projekt gehen Forschende des KIT gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut einen neuen Weg: Sie entwickeln einen virtuellen Reifen, also ein Computermodell, das das Zusammenspiel von Reifen und Fahrbahn simuliert.
Vorteile: Schnellere Tests, geringere Kosten, präzisere Prognosen.
Ziel: Abriebverhalten schon in der Simulation berechnen und optimieren.
„Die Simulation beschleunigt die Bewertung des Reifenabriebs enorm“, erklärt Dr. Martin Giesler, Leiter der Arbeitsgruppe Reifen-Rad-Fahrbahn am KIT. „Anstelle von Monaten auf der Straße reichen Sekunden im Computer.“
Was beeinflusst den Reifenabrieb?
Reifenabrieb ist komplex und hängt von vielen Faktoren ab:
Fahrbahnbelag: Glatter Asphalt auf Autobahnen erzeugt weniger Abrieb als grober Belag auf Landstraßen.
Fahrweise: Hohe Geschwindigkeit, Brems- und Beschleunigungsvorgänge sowie Kurvenfahrten erhöhen den Abrieb.
Reifenprofil und Gummimischung: Härtere Mischungen reduzieren Abrieb, verlängern aber den Bremsweg. Weiche Mischungen erhöhen die Sicherheit, verschleißen jedoch schneller.
Dieses Spannungsfeld – Sicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit – ist die größte Herausforderung für die Reifenentwicklung.
Prüfstände am KIT: Realität im Labor nachbilden
Um die Simulation zu validieren, verfügt das KIT über spezielle Innentrommelprüfstände. Hier laufen Reifen auf echten Asphaltbelägen in einer Trommel. So lassen sich Fahrbahnbedingungen und Verkehrssituationen unter kontrollierten Laborbedingungen exakt nachstellen – unabhängig von Wetter oder Verkehr.
Der Zielkonflikt: Sicherheit vs. Nachhaltigkeit
Eine wichtige Erkenntnis der Forschenden: Es gibt Zielkonflikte. Härtere Mischungen reduzieren Abrieb und verlängern die Lebensdauer, führen aber zu schlechterer Bodenhaftung und längeren Bremswegen. Weiche Reifen sind sicherer, erzeugen aber mehr Mikroplastik. Die Entwicklung von Reifen ist also ein Balanceakt zwischen Sicherheit, Umweltschutz und Effizienz.
Blick in die Zukunft: Von Löwenzahnkautschuk bis neue Konzepte
Neben der Simulation arbeiten Forschende auch an alternativen Materialien.
Löwenzahnkautschuk könnte als nachhaltiger Naturrohstoff den klassischen synthetischen Kautschuk ersetzen.
Neue Reifenbauweisen setzen auf elastische Strukturen statt auf Luftfüllung. Erste Prototypen solcher luftlosen Reifen gibt es bereits.
Warum der virtuelle Reifen wichtig ist
Mit Blick auf die geplante Euro-7-Norm, die erstmals auch Grenzwerte für Reifen- und Bremsabrieb festlegen wird, wird der virtuelle Reifen zum entscheidenden Werkzeug. Er hilft Herstellern, schneller und effizienter Reifen zu entwickeln, die sowohl sicher als auch umweltfreundlich sind.
Fazit: Der virtuelle Reifen ist ein Meilenstein in der Reifenforschung. Er zeigt, wie digitale Simulationen helfen können, ein massives Umweltproblem zu lösen – und gleichzeitig die Verkehrssicherheit nicht aus den Augen zu verlieren.
Reinhören lohnt sich: Campus Report – der Forschungspodcast des KIT.