Olivier Messiaen: Wenn Musik und Mathematik aufeinandertreffen

Olivier Messiaen (1908–1992) gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde er für seine farbenreiche Tonsprache, seine spirituelle Tiefe und seine Vorliebe für Vogelgesänge – viele seiner Werke greifen auf Motive aus der Natur zurück. Weniger bekannt ist jedoch, dass Messiaen auch ein mathematisches Denken in seine Musik einfließen ließ. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in seinen sogenannten „Skalen mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten“.

Musik als Mathematik – und Mathematik in der Musik

Musik und Mathematik sind seit Jahrhunderten eng miteinander verbunden. Schon die Pythagoreer sahen in Zahlenverhältnissen die Grundlage von Harmonie. Messiaen ging einen Schritt weiter: Er betrachtete Tonleitern unter dem Gesichtspunkt von Symmetrie und Invarianz.

Eine gewöhnliche Halbtonleiter – also alle zwölf Töne der Oktave – bleibt unverändert, wenn man sie um einen oder mehrere Halbtöne verschiebt. Doch was passiert, wenn man nur jeden dritten Ton auswählt? Dann entsteht ein verminderter Akkord, der erst nach drei Verschiebungen wieder zu sich selbst zurückkehrt.

Genau diese limitierten Transpositionsmöglichkeiten klassifizierte Messiaen mathematisch. Formal gesprochen bewegen wir uns hier im Rechnen Modulo 12, denn die westliche Tonleiter wiederholt sich alle zwölf Halbtöne. Die zugrundeliegenden Strukturen lassen sich mit der Idealentheorie der ganzen Zahlen beschreiben – einem zentralen Bereich der modernen Algebra.

Von Ganztonleiter bis „mysteriösen“ Skalen

Zu Messiaens System gehören bekannte Strukturen wie:

  • die Ganztonleiter (nur zwei Transpositionsmöglichkeiten),

  • der verminderte Akkord (drei Transpositionsmöglichkeiten),

  • erweiterte Skalen wie die „jeden vierten Ton“-Leiter,

  • sowie exotische Skalen, die mysteriös und fremdartig klingen.

Durch das mathematische Verfahren der „Komplementbildung“ – das Umdrehen von Ton und Nicht-Ton – konnte Messiaen seine Skalen vervollständigen. Heute gelten sie als vollständiges System spezieller Symmetrieskalen, die in vielen seiner Kompositionen auftauchen.

Glaube, Natur und Struktur

Messiaen war nicht nur Komponist und Mathematiker im Geiste, sondern auch tiefgläubiger Katholik. Seine Werke sind voller Symbolik, inspiriert von Liturgie, Natur und Spiritualität. Stücke wie „La Colombe“ (Die Taube) zeigen seine Ehrfurcht vor dem Leben – eine Haltung, die auch jenseits des Glaubens berührt.

Fazit

Olivier Messiaen beweist, dass Musik mehr sein kann als Klang – sie kann mathematische Struktur, spirituelle Tiefe und emotionale Wirkung in sich vereinen. Seine „Skalen mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten“ sind ein Beispiel dafür, wie sich Mathematik und Kunst gegenseitig bereichern können.

Wer Messiaens Musik hört, lauscht nicht nur einem Werk der klassischen Moderne – sondern auch einer mathematisch geordneten Welt voller Geheimnisse.

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