OpenEarable: Das smarte Ohr als Hightech-Gesundheitslabor
von Campusradio Karlsruhe · Veröffentlicht · Aktualisiert
Fitness-Tracker und Smartwatches gelten längst als Alltagsbegleiter für Gesundheit und Fitness. Sie zählen Schritte, messen Puls, Herzfrequenz und manchmal sogar den Blutdruck. Doch wie genau sind diese Daten wirklich?
Ein Forschungsteam am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat diese Frage neu gestellt – und eine überraschende Antwort gefunden: Der Arm ist gar nicht der ideale Ort für Messungen. Das Ohr hingegen schon.
Das Ergebnis dieser Idee heißt OpenEarable – ein Bluetooth-fähiger Kopfhörer, der mit einer Vielzahl miniaturisierter Sensoren ausgestattet ist. Mehr als 30 unterschiedliche Körperdaten lassen sich damit direkt am Ohr erfassen – und mit integrierter künstlicher Intelligenz (KI) auswerten, ohne dass Rohdaten das Gerät verlassen müssen.
Das Ohr als idealer Messpunkt
„Das Ohr hat eine einzigartige anatomische Lage“, erklärt Dr. Tobias Rödiger, Leiter der Forschungsgruppe Wearable Systems am Lehrstuhl für Pervasive Computing Systems des KIT.
Es liegt in der Nähe der Halsschlagader, ist gut durchblutet und besitzt nahezu Kernkörpertemperatur. Anders als der Arm bewegt sich das Ohr kaum – das reduziert Bewegungsartefakte und sorgt für präzise Signale.
Mit OpenEarable lassen sich so Vitalparameter wie Herzrate, Blutsauerstoffsättigung, Körpertemperatur oder sogar Hirnaktivität messen.
Hightech auf engstem Raum
In einem Gehäuse kaum größer als ein normaler In-Ear-Kopfhörer steckt modernste Sensorik:
Bewegungssensoren (Accelerometer, Gyroskop, Magnetometer) zur Erfassung von Bewegung, Haltung und Schritten – etwa zur Analyse von Parkinson-Symptomen oder Sturzerkennung.
Photoplethysmographie-Sensoren zur optischen Messung der Blutsauerstoffsättigung.
Temperatursensoren, die besonders präzise am Ohr messen, wo natürliche Temperaturschwankungen minimal sind.
Knochenschallmikrofone, die Schwingungen im Schädel aufnehmen und Sprache auch in lauter Umgebung zuverlässig erkennen.
Drucksensoren im Ohrkanal, die selbst kleinste Veränderungen beim Kauen oder Muskelkontraktionen registrieren – sogar für neuartige Mensch-Maschine-Interaktionen.
Ein Sensor zur Messung von Hirnströmen (EEG) ist bereits in Entwicklung, um künftig auch Schlafphasen oder Stressreaktionen erkennen zu können.
KI am Ohr – ohne Cloud, ohne Datenverlust
Die größte Herausforderung war es, künstliche Intelligenz so weit zu miniaturisieren, dass sie direkt auf dem Kopfhörer läuft.
„Jeder weiß, dass man keine riesige Grafikkarte ans Ohr hängen kann“, sagt Rödiger.
„Unsere KI-Modelle sind so optimiert, dass sie auf dem Kopfhörer selbst rechnen – energieeffizient und datensicher.“
Damit bleiben alle Daten lokal. Die Nutzerinnen und Nutzer behalten Datensouveränität, während die KI die Signale analysiert und auf einer begleitenden App visualisiert.
Open Source für die Forschung
OpenEarable ist kein kommerzielles Produkt – noch nicht.
Das System wurde als offene Forschungsplattform konzipiert. Alle Hardware-Designs, Platinen-Dateien und Software-Komponenten sind Open Source und frei zugänglich.
„Der Charme ist, dass jeder sich diese Kopfhörer selbst nachbauen kann“, so Rödiger.
Der aktuelle Prototyp kostet rund 2.400 Euro. Doch Simulationen zeigen, dass bei industrieller Fertigung Preise auf dem Niveau handelsüblicher Fitnesstracker oder Smartwatches möglich wären.
Vom Forschungslabor zum Alltag
Primäres Ziel ist derzeit die wissenschaftliche Anwendung: Forscherinnen und Forscher weltweit können mit OpenEarable neue medizinische oder alltagsbezogene Nutzungsszenarien entwickeln – von der Sturzerkennung über Atemanalyse bis zu neuen Interaktionsformen über Ohrmuskeln.
Langfristig könnte die Technologie aber auch in medizinischen Wearables oder Consumer-Geräten Einzug halten.
„Wenn wir zeigen können, dass eine Anwendung echten Mehrwert bringt, schließen wir eine Kommerzialisierung nicht aus“, sagt Rödiger.
Fazit
OpenEarable zeigt, wie viel Innovationspotenzial im scheinbar unscheinbaren Ohr steckt.
Mit seiner Kombination aus Präzision, Datenschutz, Miniaturisierung und Offenheit markiert das Karlsruher System einen Meilenstein auf dem Weg zu intelligenter, körpernaher Sensorik.
Das Ohr – bislang ein Ort für Musik – könnte bald zum wichtigsten Gesundheitsinterface des Menschen werden.


